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Montag, 28. September 2009

Un nuovo movimento

Heute im Zeit-Magazin eine reizende und nonchalante Betrachtung von Tillmann Prüfer über die Paninari gelesen, die italienische Subkultur der achtziger Jahre, die die Pet Shop Boys zu einem ihrer besten Lieder inspirierte: "Die Paninari schockierten nicht durch politische Forderungen, die sie an die ältere Generation stellten, sondern damit, dass sie sich von der Politik abwendeten, Amerika verehrten und sich dem Hedonismus hingaben". Ihre Hobbies, wie die Italiener sagen würden: "Superficialità, consumismo, vanità, gusto per gli eccessi".

Samstag, 26. September 2009

Der gebrauchte Jude

Ich habe keine Ahnung, ob Maxim Biller noch hin und wieder in der Lucca Bar in Leipzig sitzt oder in der Galerie Kleindienst und bei EIGEN + ART vorbeischaut. Oder ob er Spaziergänger, die ihn ansprechen, mit einem kühlen Blick abserviert und ratlos stehen blässt - wo sie ihm doch nur einige Sekunden der Verehrung widmen wollten. Vor einigen Monaten tat er dies noch. Vielleicht ist ihm die Heldenstadt noch böse wegen der frechen "Die Ossifizierung des Westens"-Wutrede.

Trauriger Optimist, Anti-Feminist, schlechter Deutscher – Autoren, die über Biller schrieben, sind immer recht erfinderisch bei ihren Charakterisierungen. Meiner Meinung nach ist Biller eine Mischung aus Arroganz, Empfindsamkeit und rhetorischer wie intellektueller Virtuostiät. Und dieser angry young man der deutschen Literatur, der dem Publikum früher in der Zeischrift Tempo 100 Zeilen Hass vor die Füße warf, hat ein neues Buch veröffentlicht: "Der gebrauchte Jude. Selbstporträt" und nachdem ich Henryk M. Broders unterhaltsame Rezension, die mit einem gewaltigen Schuss Polemik gewürzt ist, im SPIEGEL gelesen habe, will ich es unbedingt haben. Broder über Biller: "Bekäme Biller den Literatur-Nobelpreis - womit er übrigens fest rechnet - würde das an seinem Komplex nichts ändern. Er käme sich weiter benachteiligt, zu kurz gekommen und verkannt vor, weil ihm der Preis viel zu spät verliehen worden wäre - wie Marcel Reich-Ranicki, der nach nach dem neunten Ehrendoktor nicht vergessen hat, dass er bei der "Zeit" nie zu einer Konferenz mitkommen durfte.

Freitag, 25. September 2009

Die Verteidigung der Kindheit



"We all know that something is eternal. And it ain't houses, and it ain't names, and it ain't earth, and it ain't even the stars." Thornton Wilder



"Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen." Christa Wolf



"Ich liebte die Bücher, die ich schon gelesen hatte und die, die zu lesen mir noch bevorstanden, diese unendliche Zahl von Büchern, in welchen praktisch alles aufgeschrieben ist, wie ich dachte, ich liebte, kann ich ruhig sagen, schon als Kind das Geistesleben mehr als das andere." Thomas Bernhard

Sonntag, 20. September 2009

Digital ist schlechter



Musik ist heute flüchtiger als gestern. Eine CD brenne ich mir in Nullkommanix. Deswegen hänge ich mir meine Kassetten von früher wie Trophäen an die Wand. In meiner Kindheit war eines meiner Lieblingshobbies, Kassetten aus der Bücherei auszuleihen und mir auf meine eigenen Tonbänder zu überspielen. Hatte ja genug Zeit. Am liebsten hab ich mir die Beatles überspielt. Und die Rolling Stones. Hat immer lang gedauert, bis ich die richtige Zusammenstellung gefunden hatte. Weil ich nämlich die Liedfolge der Beatles komplett über den Haufen warf und die Kassetten so zusammenstellte, wie es mir gerade in den Kram passte. Also beim Yeah-yeah-yeah-Frühwerk der Beatles von Please please me bis Rubber soul. Den Rest von Revolver bis Let it be hatte ich dann schon auf CD. Der Rückkehr der Kassette wird ja schon seit einiger Zeit gehuldigt wie hier im Leipziger Laden Die Kassette. Oder auf den Mixtape-Exchange-Parties. Bin ich dabei.

Samstag, 19. September 2009

Über die Einsamkeit



Ich fange an, die negative Konnotation der Einsamkeit aufzuweichen und den Begriff für neue Deutungen zu öffnen, da Einsamkeit etwas Produktives in sich trägt und kein Zustand ist, für den man sich schämen oder der getarnt werden muss. Dazu habe ich etwas Schönes in der Zeit von Jana Simon gelesen, die Charlotte Gainsbourg interviewt, die sich ja bisher nicht gerade eines isolierten Daseins verdächtig gemacht hat. Doch Charlotte sagt im Interview über ihre Kindheit: "Ich war immer einsam, deshalb fühlte ich mich nicht schlecht damit."
Ulf Poschardt hat ein ganzes Buch über Einsamkeit geschrieben. Er sagt im Interview einen zustimmungswürdigen Satz: "Leider tendieren die Einsamen mehr und mehr dazu, daheim zu bleiben und DVDs zu gucken. Der soziale Einsame ist der Kinogänger, der asoziale der DVD-Kunde." Und er sagt einen zweiten noch zustimmungswürdigeren Satz, wenn er von seiner Jugend in Nürnberg spricht: "Das, was sich an Vorstellungen, Wünschen und Ideen im Innern meines Kopfes abspielte, war nicht mit meiner damaligen fränkischen Umwelt zu synchronisieren".

Donnerstag, 17. September 2009

Nachdenken über Judith B.

Was mir an der amerikanischen Feministin Judith Butler ja immer behagte, war ihre rigorose Ablehnung sämtlicher Kategorien, in die Menschen - unter dem Joch einer sozial konstruierten Systematik - eingeordnet werden. Daraus abzuleiten, dass es überhaupt kein biologisches Geschlecht mehr gäbe, das dem sozialen vorgängig sei, barg ja dann doch einen Hauch von Revolution. Aber im Grunde ist es auch wieder logisch, da alles, was wir betrachten, nicht naturgegeben, sondern sozial konstruiert ist. Erst durch unsere Benennung wird eine Frau zu einer Frau und ein Mann zu einem Mann. Oder doch nicht? Man könnte sich nun in einer Endlosschleife darüber streiten, welches Ding welcher Sache vorausgeht. Oder man schaut sich einfach an, was das Theaterkollektiv Fräulein Wunder morgen im Leipziger Off-Theater LOFFT so auf der Bühne anstellt.
Denn dort läuft von morgen bis Sonntag ein rotziges Stück über die unendliche Geschichte des Feminismus, worüber der Freitag eine Betrachtung geschrieben hat, die Lust auf einen Theaterbesuch macht.

Dienstag, 15. September 2009

Die Boboisierung der Metropolen

Der Hausphilosoph am Leipziger Centraltheater, Guillaume Paoli, ist eine Person, über die es sich nachzudenken lohnt. Nicht nur, dass er ab September wieder in seine Philosophische Praxis einlädt, nein, er befasste sich hier bereits mit der Gattung der Bobos - eine Wortneuschöpfung aus Bourgeois und Bohème. Der Begriff ist eigentlich kein neues Label. Die Bobos mögen die Berliner Kastanienallee und bewirken laut Paoli, dass Eckkneipen gegen Afterwork-Sushibar ausgetauscht werden. Er sagt, die Bobos zerstörten Authentizität.
In der Straße, in der ich früher im Leipziger Stadtteil Connewitz gewohnt habe, gab es zwar wenige Bobos, dafür befand sich dort ebenfalls eine Institution, die sich philosophische Praxis nannte. Ich hoffe, sie ist immer noch dort. Ein Vorhang verbarg den Blick auf den Innenraum des Ladengeschäftes und unter einer Telefonnummer konnte man einen Termin mit dem Philosophen vereinbaren. Mehr philosophische Praxen für die Republik!

Leipzig, Deutschland 09

Fragt man mich nach einer meiner liebsten Städte, dann würde ich ohne Zögern "Leipzig" antworten. Es ist keine Einbildung sein, dass die Stadt eine unfertig-romantische Atmosphäre besitzt. "FRIEDLICHE REVOLUTION 09. Freie Erde für freie, teilende Menschen. Nicht: Wir sind das Volk... Sondern: WIR SIND EINE NICHT KORRUPTE MENSCHHEITSFAMILIE!!! Das Prinzip Hoffnung. Ein Kommunismus der Liebe und der Vernunft". (Aus dem aktuellen Programmheft des Leipziger Centraltheaters zur Anti-Kapitalistischen Dauerinstallation auf dem Gelände des Weißen Hauses in der Gottschedstraße).

Montag, 7. September 2009

Das Schweigen - ein Film aus Franken oder Dreharbeiten im cineastischen Brachland


Foto: Blond PR

Nürnberg und Umgebung sind nicht gerade als filmaffine Region bekannt. Trotzdem wurde im August der Film Das Schweigen von Regisseur Baran bo Odars, einem 31-jährigen gebürtigen Schweizer, gedreht. Es ist sein erster Spielfilm.
Der Film spielt in einer fiktiven deutschen Stadt und erzählt von fünf heißen Sommertagen, der Zeit, in der die Hitze über der Stadt wie eine schwere Decke liegt. Der 13-jährige Junge Sinikka verschwindet. Er wurde zuletzt am selben Ort gesehen, an dem 23 Jahre zuvor ein Mädchen getötet wurde. Für die Eltern von Sinikka und Pia, des getöteten Mädchens, beginnt eine Zeit der Angst und der wiederkehrenden quälenden Erinnerungen.
Da der Film mit Sebastian Blomberg, Wotan Wilke Möhrung, Burghart Klaußner (zuletzt in Das weiße Band von Michael Haneke zu sehen) und Katrin Saß hervorragend besetzt ist, bin ich gespannt auf das Frühjahr 2010, wenn Das Schweigen im Kino anläuft.

Samstag, 5. September 2009

Qu'est-ce que le cinéma? La Nouvelle Vague


Foto: Cineaste.com
Die Nouvelle Vague ist für mich von jeher ein Synonym für Jugendlichkeit und Moderne. Jetzt wird sie tatsächlich schon 40 und die Cinématheque Française feiert deshalb eine Retrospektive.

Bonjour Deauville

Deauville ist ein Ort der unerfüllten Sehnsüchte. Er war es für Françoise Sagan und Gabrielle "Coco" Chanel, deren Biografien vor kurzem verfilmt wurden. Da Filme US-amerikanischer Provenienz in Frankreich spätestens seit François Truffauts Le Cinéma selon Alfred Hitchcock von 1967 auf breite Akzeptanz gestoßen sind, wird in Deauville seit 1975 jeden September das Festival du Cinéma Americaine gefeiert, das gestern begonnen hat. Gewürdigt wird dieses Jahr der amerikanische Regisseur Robert Aldrich, dessen wunderbarer Film Noir Kiss me deadly leider ein wenig in Vergessenheit geraten ist, was nicht an fehlender Spannung, sondern eher am unbekannten Ensemble des Filmes liegt. Ehrengast in Deauville ist - sympathisch unoriginell - Harrison Ford, der nach The fugitive von 1993 keinen guten Film mehr gemacht hat, wenngleich seine Leistung in Blade Runner jegliche cineastische Ehrung mehr als rechtfertigt. Außerhalb des Wettbewerbs läuft Richard Linklaters Me and Orson Welles mit Claire Danes und Zac Efron an, ein Film über das Theater. Im New York des Jahres 1937 ergattert der Student Richard Samuels eine Rolle in Julius Cäsar, das von Orson Welles inszeniert wird. Bisherige Kritiken betrachteten Linklaters wohlwollend, Efron wird teilweise müde belächelt.

Donnerstag, 3. September 2009

Beauty dies young - Jean Seberg Icon

Vor fast 30 Jahren - am 30. August 1979 - starb Jean Seberg. Sie stammte ja aus Iowa, dem wenig spektakulären US-Bundesstaat, in dem ich 2001 einen Aufenthalt bei Bekannten meiner Familie in einem Altersheim in Cedar Rapids verbrachte und in einem Bett nächtigte, über dem zwei gekreuzigte Gewehre hingen. Auch mal schön. Seberg verließ die Provinz, traf erst auf Otto Preminger, der sie als Cecile in Bonjour Tristesse besetzte und 1960 auf Jean-Luc Godard, der sie mit Jean-Paul Belmondo in À bout de souffle, ihrem besten Film, inszenierte. Niemand vor oder nach ihr trug ein geringeltes T-Shirt je wieder mit größerer Eleganz und niemand sah mit einer blonden Kurzhaarfrisur je wieder hübscher und moderner aus. Die Zeit hat Seberg ein entzückendes Porträt gewidmet.
Seberg war mit dem in Litauen geborenen Schriftsteller Romain Gary verheiratet, beide hatten einen gemeinsamen Sohn, Alexandre Diego Gary, der seine Autobiographie S. ou l'espérance de vie veröffentlicht hat. Johanna Adorján hat darüber einen beeindruckenden Bericht in der FAZ geschrieben.

Von Antichristen und Whiskytrinkern

Zwei Filme - einer von einem deutschen und einer von einem dänischen Regisseur - werde ich mir in den nächsten zwei Wochen auf Zelluloid ansehen. Der erste Film auf der To-Watch-Liste ist Andreas Dresens Whisky mit Wodka, für den wieder einmal der großartige Wolfgang Kohlhaase das Drehbuch geschrieben hat, der mich schon mit seinen Arbeiten Berlin Ecke Schönhauser, Die Stille nach dem Schuss und Sommer vorm Balkon beeindruckt hat. Ich erhoffe mir also ein authentisches Schauspiel mit den ehrenwerten Herrschaften Henry Hübchen und Corinna Harfouch.
Der zweite Pflichtfilm, wenn auch ein Stoff mit erbarmungslosem Depressionspotenzial, ist Lars von Triers Antichrist, über den ja bereits im Rahmen der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes berichtet wurde und ein Sujet, das Elfriede Jelinek noch einmal im aktuellen Cargo-Magazin (eine junge und wunderschöne Zeitschrift) aufgreift.