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Donnerstag, 31. Dezember 2009

Gloriose Filme und herbe Enttäuschungen 2009

Was waren die Goldstücke?

Platz 1
"(500) days of summer" von Marc Webb ist auf den ersten Blick einmal mehr ein Aufguß des niemals sterbenden Boy-meets-Girl-Filmstoffes, andererseits so reizend und liebevoll umgesetzt wie selten. Die nüchterne Darstellung von Zooey Deschanel korreliert ideal mit der Figur von Summer, aber der eigentliche Star des Ensembles ist Joseph Gordon-Levitt als Tom, der so grandios leidet, das man ergriffen mit ihm fühlt. Und dann trägt er auch noch mein Lieblings-T-Shirt mit The Clashs "London Calling"-Cover. Wunderbar! Der Soundtrack mit The Smiths, Regina Spektor und The Clash ist eh zum Verlieben. Der Film schafft es tatsächlich, den Schmerz, die Freude und die Verzweiflung, die Liebe auslöst, so zu zeigen wie selten in den letzten Kinojahren.
Allein für einen Dialog wie diesen muss man den Film einfach gern haben:

Summer: We've been like Sid and Nancy for months now.
Tom: Summer, Sid stabbed Nancy, seven times with a kitchen knife, I mean we have some disagreements but I hardly think I'm Sid Vicious.
Summer: No I'm Sid.
Tom: Oh, so I'm Nancy...
[Pancakes arrive]
Summer: Let's just eat and we'll talk about it later. Mmm, that is good, I'm really glad we did this. I love these pancakes... what?
[Tom gets up and walks away from the table]
Summer: Tom, don't go! You're still my best friend!


Platz 2
"Alle anderen" von Maren Ade zeigte die Coolness des deutschen Kinos. Bereits mit ihrem Debütfilm "Der Wald vor lauter Bäumen" bewies sie großes Regietalent. Im aktuellen Film ging sie noch professioneller zur Sache. Ades Dialoge sind von umwerfend schlichter Prägnanz, ihre Hauptdarsteller lebensnah, verletzlich, überdreht und herrlich eigensinnig. Mehr von dieser Regisseurin in den nächsten Jahren, die hoffentlich ihrer behutsamen Erzählweise treu bleibt.

Platz 3
"Antichrist" war insgesamt betrachtet eine Zumutung. Und was für eine, halleluja. Szenen mittelalterlich anmutender Foltermethoden werden an traumschöne Sequenzen gereiht. Lars von Trier liefert darin die schönste Eröffnungsszene des Jahres ab. Selten untermalte Händel eine Filmszene besser. Eigentlich unnötig der Hinweis, das nur ein depressiver Charakter einen solchen Film machen kann.

Platz 4
Eigentlich bin ich kein Clint Eastwood-Fan, verneige mich aber trotzdem vor seinem Film "Changeling", der Angelina Jolie (bekam eine Oscar-Nominierung für ihre Rolle der Christine Colins, deren Sohn entführt wird) und John Malkovich glänzen ließ.

Platz 5
"He's just not that into you" ist pures Spaß-Kino. Ohne Jennifer Aniston, Scarlett Johansson, Drew Barrymore und Justin Long wäre der Film von Ken Kwapis wahrscheinlich komplett missraten. Einen Film mit derselben Portion Selbstironie würde ich mir aber trotzdem mal aus Deutschland wünschen.

Platz 6
Von Christian Petzolds Jerichow hatte ich mir viel erwartet und wurde keine Sekunde enttäuscht. Einer der besten deutschen Regisseure.


Platz 7
Lourdes ist der dritte Spielfilm der österreichischen Regisseurin Jessica Hausner und ihr bedächtigstes Werk. Die philosophischen Fragen, die der Film aufwirft, beschäftigen einen noch lange. Sylvie Testud spielt die Hauptrolle grandios.


Wofür hätte man sich den Eintritt 2009 sparen können?

Platz 1

Es hatte schon seinen Grund, warum 87 Jahre lang niemand auf die Idee kam, die Geschichte des amerikanischen Schriftstellers F. Scott Fitzgerald, die den Held rückwärts altern lässt, zu verfilmen. 2008 wagte sich dann doch David Fincher an The curious case of Benjamin Button. Die erste Stunde des Films ist einschläfernd wie ein Nachmittag im Altenheim. Unklar bleibt die Flucht Benjamins (Brad Pitt) aus New Orleans, die mit seiner Angst vor seiner drohenden Verjüngung und den daraus resultierenden Unmöglichkeit, die Liebe zu Daisy (Cate Blanchett) weiter zu leben, für meine Begriffe unzureichend erklärt wird. Ein Juwel der Kinogeschichte? Allenfalls eine Meisterleistung der Maskenbildner.

Platz 2
Ein verwirrender Plot machen Tom Tykwers ersten Blockbuster The International zu einer unbedeutenden Fußnote seines Filmschaffens.

Platz 3
Der einzige Darsteller in Inglourious basterds, der nuancierte Schauspielkunst in dieser Nazi-Posse bot, war Christoph Waltz - ihm zuzusehen ist eine wahre Freude. Ansonsten hat sich Tarantino von starken Charakteren wie John Travolta, Uma Thurman, Samuel L. Jackon und Bruce Willis in Pulp Fiction allerdings Lichtjahre entfernt. Der Film leidet an der oberflächlichen Charakterisierung seines Personals und ist ästhetisch belanglos. Positiv sind dagegen die wie immer bei Tarantino detailliert und auf den Punkt gebrachten Dialoge.
Fazit: ein schwacher Auteur spielt perfekt mit allen ihm zur Verfügung stehenden Genre-Elementen von Western über Komödie bis Kriegsfilm und beweist große Kreativität bei der Wahl seiner Mordwerzeuge. Tarantino hat sein Pulver verschossen und das schon seit geraumer Zeit.

Platz 4
Ich bin kein Fan der Komödien von Ethan und Joel Coen, obwohl sie ja den Humor der Indie-Kino-Fangemeinde seit Fargo treffen. Thriller (Country for old men) können sie viel besser. Burn after reading hat mich enttäuscht. Ein missraten-plattes Lustspiel: man lässt sich im Kinosaal berieseln, denkt "Könnte schlimmer sein" und trinkt dazu am besten ein paar Bier.

Mittwoch, 30. Dezember 2009

Die große Frustation. Wider den Einschlaf-Journalismus. Eine Polemik.

Es ist mal wieder Zeit, dem Journalismus die Leviten zu lesen. Das Modell der Zeitung als Potpourri von Berichten, die scheinbar zusammenhanglos nebeneinander stehen und allenfalls einen minimalen Ausschnitt der Realität zeigen, ist dysfunktional, denn die Fragmentierung und Zersplitterung des Publikum ist in vollem Gange und wird 2010 rasant fortschreiten. Das Internet-Manifest - Wie Journalismus heute funktioniert ist zwar schon ein paar Monate halt, trotzdem sollte es sich jeder halbwegs seriöse Journalist 2010 hinter die Löffel schreiben.
Regionalzeitungen jenseits von Spiegel, Süddeutscher Zeitung und Zeit gleichen heute reinen Seitenbefüllungsunternehmen, die einen Großteil ihres Inhalts mit dpa-Meldungen abdecken. Rationaler wäre es, wenn dpa täglich einen Mantelteil von acht Seiten produzieren würde und damit alle Regionalzeitungen beliefern würde.

Das Abklappern von Terminen ist der Tod des kreativen publizistischen Geistes. Veröffentlichung von Texten statt Journalismus. Das System krankt am Mangel an Passion, Witz und Verve. Langweile regiert. Eigene Recherche, eine persönliche Haltung des Autors und individuelle Erzählstücke - all das passiert nicht mehr in den Zeitungen mit mittelgroßer Auflage, sondern in der überregionalen Presse, in Zeitschriften und Blogs. In den Feuilletons der Regionalzeitungen werden Berichte lieblos durcheinandergeschmissen und gemutmaßt, dass den durchschnittlich 60-jährigen Leser der Tod von Michael Jackson interessiert oder das Metal-Konzert in der städtischen Mehrzweckhalle. Wäre hier nicht eine thematische Trennung zwischen Print und Online vonnöten: Print als Angebot für den Leser ab 40 Leser und Jugendthemen generell ins Online-Angebot packen?
Im Jahr 2009 ist das Anzeigenaufkommen der Zeitungen um 15 Prozent gesunken. Für 2010 hofft der Bund Deutscher Zeitungsverleger auf eine Stablisierung auf niedrigem Niveau. Im Klartext: schlimmer geht es nicht. Da bei vielen Zeitungen ein geringeres Anzeigenvolumen weniger Seiten bedeutet, werden die Zeitungen dünner. Für den Leser ärgerlich, schließlich bekommt er weniger Zeitung für dasselbe Geld. Ein Auweg aus dem Dilemma: mehr Texte im Online-Angebot präsentieren. Denn schließlich sind Redakteure Textprodukteure - und ob sie für Print oder Online schreiben, sollte ihnen letztlich schnurz sein.
Das Internet-Manifest als theoretische Charta muss erst noch mit Leben erfüllt werden. Na dann: Es gibt viel zu tun.

Die Medien ... haben die Pflicht, auf Basis der zur Verfügung stehenden Technik den bestmöglichen Journalismus zu entwickeln - das schließt neue journalistische Produkte und Methoden mit ein.



Das Internet verändert verbessert den Journalismus.
Durch das Internet kann der Journalismus seine gesellschaftsbildenden Aufgaben auf neue Weise wahrnehmen. Dazu gehört die Darstellung der Information als sich ständig verändernder fortlaufender Prozess; der Verlust der Unveränderlichkeit des Gedruckten ist ein Gewinn. Wer in dieser neuen Informationswelt bestehen will, braucht neuen Idealismus, neue journalistische Ideen und Freude am Ausschöpfen der neuen Möglichkeiten.


Qualität bleibt die wichtigste Qualität.
Das Internet entlarvt gleichförmige Massenware. Ein Publikum gewinnt auf Dauer nur, wer herausragend, glaubwürdig und besonders ist. Die Ansprüche der Nutzer sind gestiegen. Der Journalismus muss sie erfüllen und seinen oft formulierten Grundsätzen treu bleiben.


Ist das denn so schwer begreifbar, verdammt noch mal?

Samstag, 19. Dezember 2009

Gratulieren in der Facebook-Ära

Inzwischen verfügt man ja über eine breite Palette an Optionen, um einem Freund, Bekannten oder Verwandten zum Geburtstag zu gratulieren. Altmodisch gedacht, könnte man ihm oder ihr beispielsweise die Hand schütteln oder ihn oder sie umarmen und dazu Face-to-face einen herzlichen Glückwunsch artikulieren. Würde der Freund 200 Kilometer entfernt wohnen, hätte man die Option, ihm zwei Tage vorher eine Karte zu kaufen und diese per Post zu schicken, vielleicht auch ein Geschenk einzupacken. Bei spontanen Menschen tut es der Telefonanruf.
Mittlerweile ist die Facebook-Gratulation längst ein elementarer Bestandteil des Glückwunschinventars. Hat ein Facebook-Nutzer Geburtstag, dann können auf seinem Profil etliche Glückwunsche eintrudeln. Die Anzahl der Glückwünsche variiert natürlich erheblich. Einer bekommt vier, der andere 30. Besonders viele Geburtstagsgrüße auf einer Facebook-Seite signalisieren demnach entweder die Beliebtheit der betreffenden Person oder die Faulheit der Gratulanten, die den Griff zum Telefonhörer scheuen. Ein Mysterium, das ich gern lösen würde...

Freitag, 11. Dezember 2009

Attraktive Schauen republikweit



Foto: Amazon.
Jürgen Teller ist der einzige mir bekannte popkulturell international relevante Fotograf, den Franken je hervorbrachte. Wer das widerlegen kann, soll sich bei mir melden. Er hat vor ein paar Jahren ein interessantes Buch mit einem schicken Cover herausgebracht und stellt noch bis nächstes Jahr in der Kunsthalle Nürnberg aus. Die Schau werde ich mir mit Sicherheit anschauen. "Dark Splendor" ist leider ein bisschen weit weg.

- Jürgen Teller // Logisch // Kunsthalle Nürnberg // bis 14.02.2010
- David Lynch // Dark Splendor // Max Ernst Museum Brühl // bis 21.03.2010
- F. C. Gundlach // Das fotografische Werk // Gropius-Bau Berlin // bis 14.03.2010

Der Autor und sein Verleger

Ein Auszug aus dem am 7. Dezember auf 869 pompösen Seiten erschienen Buchs, das den Briefwechsel zwischen Thomas Bernhard und seinem Verleger Siegfried Unseld dokumentiert. Eine brillant formulierter Schmähbrief von entzückender Dreistigkeit, wenn man so will die Zeilen eines beleidigten Kindes:

Lieber Doktor Unseld,
wenn ich bedenke, mit was für einem gigantischen Werbeaufwand Sie sich über drei Monate lang für Herrn Walsers Buch [»Brandung«] ins Zeug legen, während Sie für meine »Alten Meister« fast nichts getan haben, obwohl Sie wissen, dass heute Werbung beinahe alles ist, könnte mir die Lust an einer Zusammenarbeit mit dem Verlag schon vergehen. Aber ich schreibe ja für mich und nicht für den Verleger und um Geld geht es ja wirklich nicht...

Ihr
Thomas Bernhard


Quelle: Zeit Online

Donnerstag, 10. Dezember 2009

Roy Orbison reloaded

Zu den vielen Verdiensten von David Lynch außer Twin Peaks, Mulholland Drive und Blue Velvet gehört ja auch, dass er mir Roy Orbison näherbrachte, den ich sonst immer für einen dicken Mann mit Brille gehalten hätte, der das furchtbare "Pretty Woman" zur gleichnamigen Schmonzette, dem Tiefpunkt der neunziger Jahre, gesungen hat. Eines der besten Lieder Orbisons hat Lynch in diese Szene von Blue Velvet gepackt. Und mit der spanischen Version von Crying, dem zweitbesten Orbison-Song, hat er dann Mulholland Drive unterlegt.